Eisenbahnbetrieb in Japan – oder: Hochleistungsbetrieb handgemacht, bloß eben mit dem Fuji

Kyoto
Eine Abstellanlage in Kyōto. Im Hintergrund ein Shinkansen und ein Limited Express (links). Bildquelle: Autor.

17.12.2019, zuletzt ergänzt 03.02.2021

Denkt man an Japan im Eisenbahnsinne, so kommt zuerst der Shinkansen in den Sinn, vielleicht auch die U-Bahn-Türdrücker in Tokio. Die hohe Pünktlichkeitsrate ist ebenfalls sehr bekannt, und manche werden auch schon einmal vom „Pointing“ gehört haben.

Wenn Japans Eisenbahnen im deutschsprachigen Raum erwähnt werden, dann meist als positives Vorbild, der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wegen. Aber es fallen auch schon mal Kommentare, die dem Shinkansen die Vergleichbarkeit absprechen, weil dieser ja „bloß hin und her fährt“. Mit ein wenig Hintergrundwissen, welches ich hier verbreiten möchte, erscheinen viele dieser Argumente eher zweifelhaft.

Ich habe diesen Beitrag so strukturiert, dass ich zunächst auf die geografischen, wirtschaftlichen und demografischen Randbedingungen eingehe, dann auf die Eisenbahnunternehmens-Organisationsformen, und anschließend ein längeres Kapitel über den Personenzugbetrieb folgt. Dabei behandle ich auch die Themen Ticketing, Through-Running und regionale Besonderheiten.

Was dieser Beitrag nicht leisten kann, ist ein Reiseführer zu sein. Auch werde ich keine großen Worte über die Eisenbahngeschichte oder einzelne Fahrzeuge verlieren.

Japan – Geografie, Wirtschaft und Demografie

Um uns ein Bild darüber machen zu können, warum Japans Eisenbahnen so sind, wie sie sind, müssen wir uns ein wenig mit der Geografie Japans beschäftigen. Japan besteht aus vier Hauptinseln, die allesamt Eisenbahnen besitzen, und über hundert weiteren kleinen Inseln, die hier nicht näher betrachtet werden sollen. Die größte Insel, auf der auch Tokio liegt, heißt Honshu. Im Norden schließt sich die Insel Hokkaidō an, im Südwesten Kyūshū. Südlich von Honshu liegt die kleinste der vier großen Inseln, nämlich Shikoku. Alle Inseln sind vulkanischen Ursprungs, das heißt es gibt relativ wenig Flachland. Unter den Begriff „gebirgig“ fällt mehr als die Hälfte der Landesfläche, davon für Menschen unzugänglich zählt 10% des Staatsgebiets. Zum Vergleich: In Deutschland zählt 1% der Fläche als gebirgig, und unzugängliche Gebiete gibt es keine nennenswerten.

Daraus folgt auch schon der erste große Unterschied zum deutschsprachigen Raum: In Japan herrscht Landmangel. Das Flachland ist für Städte, Dörfer und die wenigen existierenden Ackerflächen vorgesehen. Historisch hat es die Landwirtschaft als Industriemotor nie gegeben, und so ist das Streckennetz nicht mit der Motivation des Erschließens der Fläche, sondern mit dem Verbinden von Ortschaften für den Personenverkehr entstanden. Das sieht man dem Streckennetz auch an, und es kommt dem heutigen japanischen Bahnsektor und allgemein dem Verkehr zugute, da es seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts kaum ein Streckensterben in dünn besiedelten Gegenden gegeben hat, wie es in Europa der Fall gewesen ist.

Viele Rohstoffe werden nicht oder nicht ausreichend im Land produziert, Japan importiert daher vor allem Lebensmittel. Bekannt ist, dass die japanische Küche aus viel Reis besteht, da der Reisanbau viel Ertrag auf kleiner Fläche verspricht. Weniger bekannt ist, dass Äpfel als Delikatessen gelten und man für ein Exemplar umgerechnet um die 20€ zahlen muss, da Äpfelplantagen so gut wie nicht existieren. Im Inlandsgüterverkehr hat die Bahn einen Marktanteil von nur 4% bezogen aus die Verkehrsleistung, dies liegt neben dem dominierenden Straßenverkehr auch an der überproportional starken Küstenschifffahrt – für einen Inselstaat nicht verwunderlich. Aufgrund des spärlichen Bahngüterverkehrsaufkommen ist daher die Containerisierung weit fortgeschritten, in der Praxis gibt es mit Tankwagen und Containertragwagen nur noch zwei weitverbreitete Güterwagenarten (Im Ganzzug- und Bauzugverkehr kann man noch einige andere Typen sehen). Bodenschätze hat Japan keine, daher gibt es keinen Massenschüttgutverkehr per Bahn, abgesehen von etwas Kalksteinverkehr bei der privaten Chichibu-Bahn.

Die japanische Gesellschaft ist überaltert. Viele Regionen abseits der Metropolen leiden unter Bevölkerungsrückgang. Die Arbeitslosenquote wird künstlich niedrig gehalten, indem öffentliche Stellen wie z.B. Straßensicherungsposten geschaffen werden, welche nach europäischem Verständnis verzichtbar erscheinen. Dies trifft vor allem auf den Straßenverkehr zu, wo deutlich mehr Verkehrspolizisten Baustellen absichern als hierzulande, aber auch im Eisenbahnsektor ist an Personal kein Mangel, vor allem auf den Bahnhöfen von JR. An jeder Ticketbarriere ist ein Mitarbeiter eingesetzt, außerdem sind viele Ordner anzutreffen, welche für die Fahrgäste auch als Ansprechpartner dienen.

Auf den Zügen ist immer ein Fahrer, und in der Regel ein für die Abfertigung des Zuges zuständiger Zugbegleiter. Dessen Platz ist bei Einfahrt und Ausfahrt der rückwärtige Führerstand. Der mit Wanman bezeichnete, vom englischen one man abgeleitete Begriff bedeutet zugbegleiterloser Betrieb, der Fahrer fertigt sich selbst ab. Dies ist bei kleineren Privatbahnen und bei U-Bahnen üblich geworden, bei JR jedoch ungewöhnlich. Fernzüge inklusive der Shinkansen haben natürlich mehrere Zugbegleiter. Speisewagen sind in Japan dagegen völlig unüblich.

Da wir uns in diesem Beitrag hauptsächlich mit der Hauptinsel Honshu befassen, müssen wir uns kurz mit den drei Metropolregionen befassen. Wenn Europäer über Tokio reden, meinen sie in der Regel die Kanto-Region. Diese umfasst die gesamte Metropolregion im Südosten Japans. Neben der Präfektur Tōkyō, welche so klein ist, dass selbst die Yamanote-S-Bahn-Ringlinie weit außerhalb dieser verläuft, gehört auch die nicht ganz unbekannte Nachbarstadt Yokohama dazu. Insgesamt gehören 7 Präfekturen (die obersten japanischen Verwaltungseinheiten) mit 42 Millionen Einwohnern zur Region, davon 37 Millionen im Metropolgebiet. Die Kanto-Region ist die wirtschaftlich bedeutendste. Es gibt zwei internationale Flughäfen: Der sehr stadtnahe Flughafen Haneda im Südwesten, welcher chronisch überlastet ist, und der neuere Flughafen Narita relativ weit östlich außerhalb der Stadt.

Kanto-Region:
Japan Kanto Region large.png
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Im Gegensatz dazu befindet sich weiter westlich die Kansai-Region mit den beiden großen Städten Ōsaka und Kyōto. Als dritte Stadt wird meist noch Kōbe genannt. Diese sind so nah beieinander, dass es sich ebenfalls um eine Metropolregion handelt. Die Kansai-Region ist der zweitgrößte Wirtschaftstandort Japans und verfügt mit dem Kansai Airport ebenfalls über einen internationalen Flughafen. In der Kansai-Region leben knapp 23 Millionen Einwohner, davon 19 Millionen im Metropolgebiet.

Kansai-Region:
Map showing the Kansai region of Japan. It comprises the mid-west area of the island of Honshu.
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Dazwischen befindet sich die Chūbu-Region mit der Großstadt Nagoya. An der Grenze zwischen Nagoya und der Kanto-Region befinden sich die japanischen Alpen, ein hohes Gebirge, welches in Nord-Süd-Richtung verläuft und die Insel Honshu in eine Ost- oder Pazifik-Hälfte und eine West- oder Japanische-See-Hälfte teilt. Nagoya hat immerhin noch 9 Millionen Einwohner. Der 2005 eröffnete Chubu Airport war als weiterer internationaler Flughafen geplant, spätestens seit 2008 hat sich das Angebot auf ausschließlich asiatische Ziele rationalisiert, mit den beiden prominenten Ausnahmen Frankfurt (Lufthansa) und Helsinki (Finnair), Stand 2019/2020.

Chūbu-Region:
Map showing the Tōhoku region of Japan. It comprises the middle area of the island of Honshū.
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Bahnunternehmen in Japan

Es gibt in Japan Staatsbahnen und Privatbahnen. Mit Staatsbahn ist JR (Japan Railways) gemeint, diese sind eigentlich sieben halbprivate Unternehmen, welche aus den ehemaligen Japan National Railways (JNR) hervorgegangen sind. Städtische U-Bahnen und Straßenbahnen zählen als Privatbahnen, auch wenn sie wie z.B. in Tokio von Behörden geführt werden. Bei den Privatbahnen wird manchmal zwischen den sogenannten 16 Major Railways und den übrigen Minor Railways unterschieden.

Kurz zur Geschichte: Da das Mittelalter in Japan bis 1853 ging, kam es erst 1872 zur Eröffnung der ersten Eisenbahnstrecke. 1906/07 wurden einige Privatbahnen verstaatlicht, aufgrund militärischer Vorteile. Diese bildeten später die Staatsbahn JNR und heute die JR-Gruppe. Die übrigen, nicht verstaatlichten Bahnen bildeten den Grundstock der genannten 16 Major Private Railways. Dabei wurde nach Spurweite unterschieden: Die JR Group stellt heute, wenn man mal vom Shinkansen absieht, ein zusammenhängendes Netz in Kapspur (1067 mm Spurweite) dar, während die Privatbahnen mit eigenem Netz überwiegend (aber nicht ausschließlich) die Normalspur nutzen. Im Jahr 1925 wurde in einer konzentrierten Aktion alle Kupplungen auf automatische Mittelpufferkupplungen umgebaut.

Bis zur Privatisierung von JNR im Jahr 1987 waren alle japanischen Bahnen immer sowohl Eigentümer und Betreiber ihres Schienennetzes wie auch Betreiber der Züge. Mit der Privatisierung entstanden auch neue Geschäftsmodelle, das Gesetz unterscheidet drei Fälle.

  • Category 1 Railway Business bezeichnet das Erbringen von Verkehrsleistungen auf eigener Bahninfrastruktur zum Zwecke des Profits oder für interne Zwecke.
  • Category 2 Railway Business bezeichnet das Erbringen von Verkehrsleistungen auf fremder Infrastruktur im Auftrag von anderen.
  • Category 3 Railway Business bezeichnet das Erbauen und Betreiben von Schienennetzen, wobei die Eisenbahnverkehrsleistung von anderen erbracht wird.

Die profitabelsten Bahnunternehmen sind die 16 Major Private Railways, diese sind allesamt Category 1 Railways. Von den sieben Unternehmen der JR-Gruppe sind sechs ebenfalls Category 1 Railways: JR East, JR Central und JR West auf Honshu sowie JR Hokkaidō, JR Kyūshū und JR Shikoku auf den jeweiligen gleichnamigen Hauptinseln. Das siebte Unternehmen heißt JR Freight und besitzt nur die Güterbahnhöfe, es wird daher allgemein als Category 2 Railway geführt. Diese Einteilung kann auch bei einem Unternehmen von Strecke zu Strecke unterschiedlich sein, beispielsweise ist die private Kintetsu Railway, welche ein sehr großes normalspuriges Streckennetz zwischen Ōsaka, Kyōto und Nagoya betreibt, zwar für den Großteil ihres Netzes eine Category 1 Railway, mit der Keihanna Line betreibt sie aber auch eine Ōsakaer U-Bahn-Verlängerungsstrecke, ohne diese zu besitzen (Category 2 Railway). Außerdem werden die abweichend kapspurigen Iga Line und die Yōrō Line besessen, die Betriebsführung aber an jeweils lokale Firmen abgegeben (Category 3 Railway).

Kyoto
Die private Kintetsu Railway in Kyōto fährt zum dortigen Hauptbahnhof. Die obere Strecke rechts ist der Shinkansen Richtung Ōsaka. Bildquelle: Autor.

Es gibt zwei Betriebslizenzen, Eisenbahnen und Straßenbahnen. Diese Einteilung entspricht ungefähr der EBO und BOStrab in Deutschland, wobei die technischen Anforderungen in Japan wesentlich weniger speziell sind, so dass die Wahl einer dieser beiden Betriebsformen eher zweitrangig wirkt und einem daher insbesondere bei U-Bahnen willkürlich erscheinen kann. Der Hauptunterschied ist, dass Straßenbahnen im Straßenraum verkehren können, während Eisenbahnen dies nicht dürfen (Mit der Enoshima-Bahn gibt es mindestens eine Eisenbahn, die dies mit Sondergenehmigung doch tut). Alle anderen technischen Parameter wie Bahnsteighöhe (ebenerdig oder die Standardhöhe von 1100 mm), Bahnsteiglänge sowie Kreuzungslänge auf eingleisigen Strecken werden vom jeweils eingesetzten Rollmaterial abhängig gemacht.

Kyoto
Die Züge des Randen-Interurban in Kyōto nutzen mittelhohe, sehr kurze Bahnsteige. Bildquelle: Autor.

Das Lichtraumprofil ist in Japan überall annähernd gleich, bei Kapspur- wie auch bei Privatbahn-Regelspurstrecken. Die letzten historischen Lichtraumprofilabweichungen sind durch besondere Stromabnehmerkonstruktionen eliminiert worden. Lediglich bei U-Bahnen gibt es Strecken für geringfügig schmalere Züge. Das Lichtraumprofil ist recht klein und erinnert an britische Maße, es ist aber geringfügig größer als das englische Pendant. Im Nahverkehr finden fast ausschließlich Längssitze Anwendung. Der Shinkansen dagegen ist nach dem großzügigen chinesischen Lichtraumprofil erbaut, im Inneren ist standardmäßig eine 3+2-Bestuhlung zu finden.

Travelling through Shikoku
Aufgeständerte Strecken sind typisch für Japan, hier auf Shikoku. Bildquelle: Autor.

Die Elektrifizierung mit Oberleitung ist in Japan sehr weit fortgeschritten. Historisch bedingt liefern die Kraftwerke im Westen Japans Wechselstrom mit 60 Hz nach dem amerikanischen System, während jene im Osten Japans nach europäischen Prinzipien 50 Hz liefern. Es gibt daher im Osten Honshus und auf Hokkaidō einen Netzteil, der mit 20 kV 50 Hz elektrifiziert ist und einen anderen im Westen Honshus und auf Kyūshū, der mit 20 kV 60 Hz elektrifiziert ist. Der weitaus größte Teil der Insel ist aber mit 1500 V Gleichstrom elektrifiziert. Die Dieseltraktion ist auf Hokkaidō und Shikoku weit verbreitet, während sie auf Honshu kaum eine Rolle spielt.

Üblicherweise ist jeder Triebwagen für nur ein Stromsystem ausgelegt. Es gibt Zweisystemtriebwagen, welche die Systemwechselbahnhöfe durchfahren können. Bei Fahrzeugüberführungen kommen Mehrsystemlokomotiven zum Einsatz, hierbei kommt es zum für europäische Augen ungewohnten Bild einer Elektrolokomotive mit angelegten Stromabnehmern, welche einen Elektrotriebwagen mit abgelegten Stromabnehmern zieht. Früher gab es auch sehr viele Einsystemlokomotiven, diese sind mittlerweile fast alle ausgemustert. Die verbleibenden sind für JR Freight im Güterverkehr eingesetzt.

Der Shinkansen nutzt 25 kV statt 20 kV, aber ansonsten ebenfalls im Westen 60Hz und im Osten 50Hz. Die Ost- und Weststrecken stoßen im Bahnhof Tōkyō aufeinander, die beiden Kopfbahnhöfe liegen direkt nebeneinander, haben jedoch keine Gleisverbindung. Die jüngste Shinkansenstrecke ist der Hokuriku-Shinkansen durch die nördlichen japanischen Alpen und wird abschnittsweise mit beiden Stromsystemen gespeist, hier verkehren nur Zweisystemzüge der Baureihe E7 bzw. W7 (letzteres bezeichnet den Teil der Flotte, welcher nicht JR East, sondern JR West gehört, wobei die Züge baugleich sind).

Japan Mainline Railway Electrification Systems Map 日本本線鉄道電化地図.png
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Formsignale finden sich so gut wie keine mehr in Japan. Ursprünglich waren Formsignale und später auch Lichtsignale nach britischem Vorbild, welche den eingestellten Fahrweg signalisieren, im Einsatz. Mit den Lichtsignalen kamen aber auch Geschwindigkeitssignalbegriffe nach Japan. Diese dienen aber nicht nur zur Signalisierung von Fahrwegen durch Weichenstraßen, sondern auch der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit in gewissen Stufen mittels Farbkombinationen aus grünen und gelben Lampen, ähnlich wie das bei der nordamerikanischen Signalisierung gemacht wird. Die genauen Signalbilder unterscheiden sich von Bahn zu Bahn, aber man kann folgende allgemeine Aussagen über Lichtsignale treffen:

  • Rot bedeutet Halt.
  • Mit weißen Lichtern oder mittels mehrerer Signalschirme wird die Fahrtrichtung oder der Fahrweg signalisiert, wobei Signalschirme für nicht eingestellte Fahrtrichtungen rot zeigen.
  • Je weniger grün und je mehr gelbe Lampen leuchten, desto langsamer muss gefahren werden.

Osaka
Ein Signal in Fahrtstellung an der Ōsaka Loop Line. Der Fahrtweg führt geradeaus, es gibt auch noch einen Fahrtweg nach links (Signalschirm mit rotem Licht). Bildquelle: Autor.

Zugbetrieb im Fahrgastverkehr

Anders als in Deutschland, wo es mit dem IC-Netz und dem ICE-Netz pro Zuggattung je eine Zuordnung der befahrenen Strecken gibt, ist die Philosophie in Japan genau andersherum: Jede Strecke, genannt Line, hat ein spezielles Verkehrskonzept, welches aus mehreren Zuggattungen besteht. Ein Netz setzt sich dann aus den einzelnen Strecken mit ihren Linien und eventuellen Zugübergängen zusammen. Die Basis-Zugkategorie heißt überall Local und hält immer an jeder Station. Fernzüge heißen meistens Limited Express, allerdings kann es sich dabei bei manchen Privatbahnen auch um die schnellste Nahverkehrszuggattung handeln. Andere vorkommenden Zugkategorien sind beispielsweise Rapid, Commuter Express, Semi-Express, Sub-Express, Commuter Rapid, New Rapid u.ä. Eine Strecke muss keinen Expressverkehr haben, dann sind alle Züge als Local zu betrachten. Nicht jede Strecke weist auch jede Zugkategorie auf.

Die Zugkategorien unterscheiden sich im Haltestellenregime. Generell kann man sagen: Ein Rapid hat weniger Halte als ein Local und ein Express weniger Halte als ein Rapid. Die Vorsilben Semi- und Sub- bezeichnen i.d.R. einen Zonenbetrieb, das bedeutet am Anfang oder am Ende des Laufweges wird abweichend an allen Bahnhöfen gehalten, im übrigen Teil entspricht das Halteregime dem des Namensgebers. Ein Fahrgast kann zwischen seinem Start- und Zielbahnhof jeden Zug jeder Zugkategorie nehmen. JR Limited-Express-Züge benötigen jedoch einen Schnellzugfahrschein, welcher separat erworben werden muss. Auf manchen Strecken überholen sich Züge gegenseitig, dann ist zwecks schnellster Verbindung Fahrplankenntnis gefragt. An jeder Station hängen für jede Strecke Abfahrtstafeln aus, welche nach Stunden sortiert sind und zu jeder Abfahrtsminute die Zugkategorie und mittels Fußnote ggf. das abweichende Fahrtziel angegeben wird, sollte dieses nicht dem Streckenende entsprechen. Tabellenfahrpläne sind unüblich.

Osaka
Abfahrtstafel im Bahnhof Kyōbashi in Ōsaka der privaten Keihan Railway. Die obere Hälfte zeigt die werktäglichen Abfahrten Richtung Kyōto, unten sind die Abfahrten Richtung Ōsaka Innenstadt (zwei Strecken). In der Legende ist jeweils erklärt, wie Fahrtziel und Zuggattung dargestellt sind. Ganz unten sind die Halteregime der Zuggattungen grafisch dargestellt. Zwischen 11 und 15 Uhr sieht man das Off-Peak-Betriebsschema: Alle 10 min einen Local bis Hirakatashi, alle 10 min einen Sub-Express, der ab Hirakatashi alle Halte bedient und ebenfalls alle 10 min einen Limited Express. Bildquelle: Autor.

Die dynamischen Fahrgastanzeiger auf den Bahnhöfen zeigen zu den nächsten Abfahrten das Fahrtziel, den Namen der Strecke, die Zugkategorie und die Anzahl der Wagen im Zug an. Es erfolgt außerdem eine Information, welche der Wagen im Zug Non-Reserved Cars und welche Green Cars sind. Ein Green Car entspricht einem Wagen Erster Klasse und benötigt einen speziellen Fahrschein sowie eine Sitzplatzreservierung. Fahrgäste ohne Sitzplatzreservierung sind nur zum Benutzen der Non-Reserved Cars berechtigt. Dies ist aus europäischer Sicht ungewöhnlich, da der Fall, dass Fahrgäste in den Non-Reserved Cars stehen müssen, während in den Reserved Cars noch Plätze frei sind, immer mal wieder auftritt.

In ländlichen Gegenden kann das Reserved Car auch mal voller sein als die Non-Reserved Cars.

Kyoto
Ein Fahrgastanzeiger in Kyōto (JR West). Die Anzeige wechselt regelmäßig mit der gleichbedeutenden Anzeige mit Schriftzeichen. Zu sehen sind zwei Limited Expresses der Linie Thunderbird (Zugnummern jeweils 30 und 32), einer davon mit 15 Minuten Verspätung, mit Ziel Ōsaka sowie ein Special Rapid mit 12 Wagen nach Himeji via Ōsaka und Kōbe. Die hier im oberen Bereich genannten Limited-Express-Züge Kuroshio und Super Hakuto (ein Category 3 Railway Business auf JR-Gleisen) beginnen hier, sind aber im Aufnahmemoment nicht unter den drei als nächstes verkehrenden Zügen aufgeführt. Bildquelle: Autor.

Bei einigen Bahnen, insbesondere bei Privatbahnen, sind den einzelnen Zugkategorien auch spezielle Zugbaureihen zugeordnet. Dabei ist es üblich, diese auch in unterschiedlichen Farben zu lackieren. Bei Unternehmen der JR Group kennzeichnet die Fahrzeuglackierung oder -farbe in der Regel die Strecke/Linie, auf der das Fahrzeug eingesetzt wird.

Die aus dem deutschen Sprachgebrauch bekannten Begriffe Strecke, Linie und Zugkategorie sind nicht ohne weiteres auf Japan übertragbar. Der Begriff Line wird in der Regel synonym für eine Bahnstrecke wie auch für den Verkehr darauf genutzt. Ab und zu wird aber wie im Falle der im Raum Tokio verkehrenden Shōnan-Shinjuku-Linie eine Linie unabhängig von ihren befahrenen Strecken benannt, dies entspricht dann dem deutschen Verständnis einer Linie. In der Regel werden – sehr zur Verwirrung europäischer Beobachter – Teile einer durchgängig betriebenen Bahnstrecke, welche von unterschiedlichen Unternehmen oder sogar vom gleichen Unternehmen, aber unter anderen politischen Umständen gebaut wurden, mit unterschiedlichen Namen bezeichnet. Außerdem gibt es zwei Shinkansen-Zweigstrecken, welche offiziell nicht als Shinkansen Line, sondern als konventionelle Kapspurstrecken geführt werden, obwohl sie Teil des normalspurigen Shinkansennetzes sind: Die Hakata-Minami Line auf Kyūshū und die als Zweigstrecke der Jōetsu Line geführte, inoffiziell als Gala-Yuzawa Line bezeichnete Strecke vom Shinkansen-Bahnhof Gala-Yuzawa zum dortigen Skilift. Dies hat Auswirkungen auf den Tarif.

Osaka
Auf Linienübersichtsplänen werden die Liniennamen benutzt, aber keine Zuggattungen dargestellt. Hier zu sehen: Die Netzgrafik von JR West in der Kansai-Region. Rot zu sehen: die Ōsaka Loop Line. Bildquelle: Autor.

Die Zugfolgezeiten sind in Japan kürzer als in Europa. Grundsätzlich können in den Stoßzeiten 2-Minuten-Takte stabil gefahren werden. Auf viergleisigen Strecken sind parallele Fahrten keine Seltenheit. Durch die Geschwindigkeitssignalisierung können kurze Blockabschnitte bereits 30 Sekunden nach Befahren wieder geräumt und mit dem passenden Signalbild zur Befahrung mit der niedrigsten signalisierbaren Geschwindigkeit zugelassen werden.

Flügelzugkonzepte existieren ebenfalls, sind aber vergleichsweise selten bei den JR-Bahnen. Im Raum Tokio ist die Standardzuglänge 15 Wagen à je 20 m, und einige Regionalbahnlinien bestehen aus zwei Zugteilen, welche im Umland geteilt werden. Dabei kommt sowohl die Konfiguration 10+5 wie auch 11+4 zur Anwendung, je nach Einsatzgebiet. Die Yamanote Line nutzt 11-Wagen-Züge. Grundsätzlich sind im konventionellen Netz alle Züge durchgängig begehbar, bei Flügelzügen nur für das Personal, da es in Kehranlagen (Wendegleise) auf Viadukten und in Tunneln aufgrund von Platzmangel unüblich ist, seitliche Dienstwege anzuordnen.

Travelling through Shikoku
Zugvereinigungen gibt es auch auf Shikoku, hier mit Dieseltriebwagen. Die rote Fahne des Bahnmitarbeiters ist das Zielsignal der Einfahrt des im Hintergrund sichtbaren Zuges. Bildquelle: Autor.

Bei Privatbahnen kommen Kupplungsvorgänge teilweise häufiger vor. Hervorgetan hat sich die Nagoya Railway bzw. Meitetsu mit der Eigenentwicklung einer Kontaktleiste unter der Mittelpufferkupplung, welche an einem Fahrzeugende pneumatisch retraktierbar ist, der sogenannte M type coupler. Meitetsu setzt bei 8-Wagen-Bahnsteiglängen grundsätzlich 2-, 4- und 6-Wagen-Züge ein, so dass in den Hauptverkehrszeiten die Züge gekuppelt und verstärkt werden. Die 6-Wagen-Züge haben die elektrische Kupplung nur an einem Ende, denn am anderen Ende sind jeweils zwei Reserved Cars mit je zwei Türen am Wagenende eingereiht, im Unterschied zu den sonstigen 3-Mitteltüren-Non-Reserved-Cars. Eine Verstärkung an diesem Ende ist daher nicht vorgesehen. Weiter verbreitet ist der Shibata coupler, welcher v.a. bei JR eingesetzt wird und einer Scharfenbergkupplung ähneln.

Außerdem werden auf dem Tōhoku Shinkansen nordöstlich Tokios regelmäßig Züge aus zwei Shinkansen-Triebwagen gebildet. Dabei kommen auch Züge unterschiedlichen Lichtraumprofils zusammen, weil vom Tōhoku Shinkansen an zwei Stellen Mini-Shinkansen-Strecken abzweigen, welches umgespurte Kapspurstrecken sind. Umspurungen werden mit Ausnahme der 2016 erfolgten Verlängerung des Shinkansen auf die Insel Hokkaidō durch einen existierenden Bahntunnel nicht weiterverfolgt, da die Nachteile überwiegen. Zu den hohen Infrastrukturkosten kommen die Kosten zum Vorhalten einer kleinen Flotte von Regelspur-Triebwagen für den weiterhin stattfindenden Regionalverkehr. Die Vorteile erschöpfen sich in der schnellen Durchbindung nach Tokio, nicht einmal die Geschwindigkeit kann über das für Kapspurstrecken geltende Höchstmaß von 130 km/h angehoben werden, da die Strecken kurvig sind und Bahnübergänge aufweisen. Der Akita Shinkansen weist auf der umgespurten Bestandsstrecke sogar einen Spitzkehrenbahnhof auf. Daher wird in letzter Zeit unter dem Begriff Gauge-changing Train spanische Talgo-Spurwechseltechnik erprobt. Testinstallationen befinden sich auf Kyūshū. Neusten Erkenntnissen zufolge ist diese Technik jedoch nicht wie geplant umsetzbar, aus physikalischen Gründen: Antriebstechnik und Scheibenbremsen finden nicht ausreichend Platz auf den Achsen, wenn zwischen 1067 und 1435 mm Spiel für die Räder freigehalten werden muss. Daher wird der Nagasaki-Shinkansen auf Kyūshū, mit dessen Bau schon begonnen wurde, im Endzustand eine unabhängige normalspurige Hochgeschwindigkeitstrasse erhalten, Mitnutzungen der Bestandsstrecke sind nur mehr als Übergangslösung nach Fertigstellung des ersten Bauabschnitts angedacht.

Tokio Tokyo Station
Ein JR-East-Shinkansen-Doppel im Bahnhof Tōkyō. Vorne in rot ist ein Mini-Shinkansen (Akita Shinkansen), der grüne Zugteil ist regulären Lichtraumprofils. Der Akita Shinkansen wird in Morioka vom Zug getrennt. Die Nasenform ist darauf optimiert, sowohl an der Zugspitze wie auch in Zugmitte laufen zu können. Bildquelle: Autor.

Für den zurzeit mit Dreischienengleis ausgerüsteten Seikan-Tunnel zwischen Honshu und Hokkaidō wird zurzeit von JR Hokkaidō das Konzept Train on Train entwickelt. Da der Tunnel zweigleisig ist und auch vom Güterverkehr benutzt wird, existiert derzeit eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 160 km/h. Das Erhöhen der Geschwindigkeit für den Shinkansen auf 320 km/h stößt auf zwei Probleme: Zum einen sind die Kapspurzüge für solch starke Druckwellen nicht ausgelegt, zum anderen sind bei dichter Zugfolge (Halbstundentakt) keine Trassen mehr für Güterzüge frei, weil die Geschwindigkeitsdifferenz zu groß wird. Ein Güterzug im Tunnel würde zu jeder Zeit zu einem Hindernis für den nachfolgenden Shinkansen-Zug, welcher auf den Güterzug auflaufen würde. Überholmöglichkeiten gibt es im Tunnel keine. Das Konzept Train on Train basiert auf dem Umstand, dass Kapspurzüge aufgrund des kleineren Lichtraums komplett von einem Shinkansen-Zug umschlossen werden können. Es ist vorgesehen, spezielle innen mit Kapspurschienen ausgerüsteten Shinkansen-Züge zu beschaffen und mit diesen ganze Kapspur-Güterzüge zwischen Honshu und Hokkaidō ähnlich einer Fähre hin- und herzubefördern. Für den Shinkansen-Fahrgast sinkt die Fahrzeit durch den Tunnel dadurch von 20 auf rund 10 Minuten.

Update: Mit Stand 03. Januar 2021 ist bekannt geworden, dass auch diese Technik nun verworfen ist. Stattdessen ist der Bau eines zweiten, parallelen Tunnels zur Entmischung der Verkehre angedacht.
Quelle: https://tabiris.com/archives/daini-seikan/

Through Running

Eine der faszinierendsten, aber auch verwirrendsten Besonderheiten des japanischen Eisenbahnbetriebs ist das Through Running. Dabei handelt es sich um einen regelmäßigen geplanten Übergang von Zügen einer Linie auf eine andere.

Der Fahrgast kann dabei sitzen bleiben, aber wenn unterschiedliche Unternehmen beteiligt sind, so werden zwei verschiedene Fahrkarten notwendig. Japanische Bahnhöfe sind in der Regel mit automatischen Ticketbarrieren ausgerüstet, welche Ein- und Ausgänge sowie auch Übergänge zwischen Bahnhofsbereichen abgrenzen. Üblicherweise verkaufen japanische Bahnunternehmen keine Fahrkarten für Fremdunternehmen, so dass es bei konventionellen Fahrkarten beim Through Running zu der – geduldeten – Situation kommt, dass kein Fahrkartenverkauf für die Gesamtstrecke möglich ist und durch das Through Running ein Fahrgast im Verlaufe der Fahrt zum Fahrgast ohne gültigen Fahrschein wird. Es gibt daher auf Bahnhöfen mit Ticketbarrieren nicht nur Fahrkartenautomaten außerhalb der eigenen Barrieren für den Fahrschein-Vorverkauf, sondern auch mit dem Begriff Fare Adjustment bezeichnete Automaten innerhalb der eigenen Barrieren, an denen der Fahrpreis bei Through Running nachträglich entrichtet werden muss. Dort, wo es Fahrkartenschalter gibt, befassen sich die dortigen Mitarbeiter auch mit diesen Angelegenheiten.

Nicht zuletzt aus diesen Gründen haben sich in Japan elektronische Bezahlsysteme stark durchgesetzt. Seit etwa 2007 kommen verschiedene PrePaid-Karten mit RFID-Chips für verschiedene japanische Regionen zum Einsatz. Da die meisten Karten dieselbe Sony-Technik einsetzen, gab es seit 2010 mehrfach Programme, diese Karten untereinander kompatibel und damit austauschbar zu machen. Dies ist weitgehend gelungen, mit Ausnahme der PiTaPa Card (eine Postpaid-Karte für die Privatbahnen in der Kansai-Region) werden alle Karten einander anerkannt. Somit ist es zum Beispiel möglich, mit einer SUICA Card (Raum Tokio, JR East) in Ōsaka mit der Monorail zu fahren. Neben diversen Apps gilt der Webservice www.hyperdia.com als beste online-Verbindungsauskunft.

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Die eingesetzten Eisenbahnfahrzeuge tragen Unternehmens- oder Linienfarben, aber rechtlich ist für den Fahrgast die benutzte Strecke ausschlaggebend. Das Zugpersonal wechselt an den Grenzbahnhöfen. Die Fahrzeuge werden von den beteiligten Unternehmen gemeinsam in einer Art Pool betrieben, wobei die Besitzverhältnisse unberührt bleiben.

Am häufigsten davon betroffen ist die U-Bahn in Tokio, deren Netz quasi auf Through Running basiert. Es gibt zwei Betreiber, die privatwirtschaftliche Tōkyō Metro sowie die Toei Subway, welche von der Präfektur betrieben wird. Von den 9 Linien der Tōkyō Metro und den 4 Linien der Toei Subway haben nur 2 Tōkyō-Metro-Linien und 1 Toei-Subway-Linie kein Through Running, diese drei Linien werden unabhängig und mit eigenem Rollmaterial betrieben. Sie sind gleichzeitig die ältesten Linien. Alle anderen U-Bahn-Linien gehen an mindestens einem Ort mittels Through Running auf eine Eisenbahnstrecke eines anderen Betreibers über. Den Rekord hält die Fukutoshin Line, welche im Norden Through Running zu den Unternehmen Tōbu und Seibu und im Süden zum Unternehmen Tōkyū hat, wobei letzteres auf der Tōkyū Tōyoko Line (benannt nach Tōkyo und Yokohama) im Stadtzentrum der Nachbarstadt Yokohama seinerseits Through Running zur Minatomirai Line, eine U-Bahn in Yokohama, anbietet. Es werden also im Falle eines Durchläuferzuges (hier der sogenannte S-Train) vier verschiedene Streckenbetreiber befahren.

Die technischen Parameter der U-Bahnen in Tokio richten sich dabei nach den einzelnen Bahnunternehmen, mit denen die Verknüpfung hergestellt wird. Historisch bedingt durften Privatbahnen keine Strecke innerhalb des Yamanote-Rings bauen, daher entstanden die meisten U-Bahn-Strecken als Verlängerung dieser Vorortbahnen in die Innenstadt. Da die meisten dieser Bahnen die Kapspur verwenden, sind auch die meisten U-Bahn-Linien in dieser Spurweite ausgeführt. Ausnahmen bilden die Toei Asakusa Line, welche die Regelspur der Unternehmen Keisei und Keikyū verwendet, sowie die Toei Shinjuku Line, welches die Spurweite 1372 mm (4 ft 6 in, Scottish gauge) des Unternehmens Keio übernommen hat. Dieses übernahm die Spurweite einst von den alten Tokioer Straßenbahnen, zu welchen es damals seinerseits Through Running durchführte. Die drei Linien Tokyo Metro Ginza Line, Marunouchi Line und Toei Subway Ōedo Line, welche kein Through Running aufweisen, verwenden die Regelspur und mit Ausnahme der Toei Ōedo Line 600V seitliche Stromschiene, im Gegensatz zur in der Kanto-Region ansonsten vorherrschende Elektrifizierung mit 1500 V Oberleitung.

Besonderes Merkmal der U-Bahnen mit Through Running ist der Übergang von Zügen unterschiedlicher Zuggattung auf die U-Bahn-Linien, welche dadurch ebenfalls Expressverkehr haben. Dies betrifft aber nur zwei Linien: Die Tōkyō Metro Tōzai Line und die Tōkyō Metro Fukutoshin Line. Beide weisen dazu viergleisige Bahnhöfe auf, an dem Expresszüge die Lokalzüge überholen. Im Falle der Fukutoshin Line ist es der unterirdisch gelegene Bahnhof Shinjuku-sanchome, er dient dem bahnsteiggleichen Übergang zwischen Lokal- und Expresszügen. Diese U-Bahn-Linie ist mit Eröffnungsdatum 2008 eine der jüngsten Strecken. Bei der Tōzai Line, welche aus dem Jahr 1964 stammt, beschränkt sich der Expressverkehr auf den östlich der Innenstadt gelegenen Außenast, die beiden viergleisigen Stationen Kasai und Myōden liegen oberirdisch und werden von den Expresszügen ohne Halt durchfahren. Im unterirdischen Innenstadtteil halten alle Zuggattungen an allen Bahnhöfen.

Bevor es 2008 zur Eröffnung der Fukutoshin Line kam, gab es eine Besonderheit im Bahnhof Naka-Meguro der privaten Tōkyū-Bahn. Hier besteht eine Gleisverbindung zur Tōkyō Metro Hibiya Line, welche bis dato für den Übergang von Zügen genutzt wurde. Dabei wurde für Expresszüge kein Fahrgasthalt eingelegt, zum Tausch des Zugpersonals musste jedoch ein Betriebshalt eingelegt werden. Seit Eröffnung der Fukutoshin Line gibt es kein Through Running zwischen der Tōkyū-Bahn und der Hibiya Line mehr, weil nun sämtliches Through Running der Tōkyū Tōyoko Line mit der Fukutoshin Line anstelle der Hibiya Line durchgeführt wird.

Ein Beispiel für Through Running zwischen JR und einer Privatbahn ist der Übergang zwischen der Saikyō Line und der Rinkai Line im Bahnhof Ōsaki im südwestlichen Yamanote-Ring. Die Rinkai Line ist eine private, vollständig im Tunnel verlaufende Strecke zur Erschließung der inzwischen bebauten, vorgelagerten künstlichen Inseln in der Bucht von Tokio. Diese schließt in Ōsaki an die Saikyō Line von JR East an, welche in Nord-Süd-Richtung parallel zum westlichen Teil des Yamanote-Rings führt. Im Norden geht die Saikyō Line in die Kawagoe Line über, welche ebenfalls von JR East betrieben wird. Die Rinkai Line hat am anderen Ende in Shin-Kiba ebenfalls eine Gleisverbindung zu JR East, dort ist es die Keiyō Line. Hier besteht aber kein Through Running. Die Rinkai Line ist eins der wenigen Beispiele, in denen ein JR-Unternehmen (hier JR East) den Kauf einer Privatbahn erwägt. Mitte des Jahres 2020 wurde eine neue Verbindungsstrecke zwischen der Shonan-Shinjuku-Line und der privaten Sagami Railway bzw. Sōtetsu in Betrieb genommen, welche ebenfalls per Through Running durchgängig bedient wird.

In Ōsaka gibt es im Bahnhof Namba Through Running direkt zwischen zwei Privatbahnen. Die Kintetsu Railway verbindet Kyōto, Ōsaka, Nagoya und die Präfektur Mie untereinander und erreicht Ōsaka von Osten her. Der Bahnhof Ōsaka Uehommachi dieser Bahn ist ein klassischer Kopfbahnhof. Die 1970 eröffnete Verlängerung nach Namba schließt dort direkt an die Hanshin Namba Line an, eine Zweigstrecke der Hanshin Main Line von Ōsaka nach Kōbe. Rapid Express Trains gehen hier von Kintetsu auf Hanshin über. Beide Bahnen sind normalspurig.

Fallbeispiel Tōkaidō Shinkansen

Der Tōkaidō Shinkansen ist die älteste Shinkansen-Strecke und verbindet Tōkyō mit Ōsaka. Wichtige Zwischenhalte sind Nagoya und Kyōto. Mit den beiden Endbahnhöfen gibt es insgesamt 17 Bahnhöfe entlang der Strecke. Betreiber ist JR Central.

Im Raum Tokio gibt es drei Bahnhöfe, an denen jeder Shinkansen-Zug hält: Zunächst den sechsgleisigen Kopfbahnhof Tōkyō am östlichen Yamanote-S-Bahn-Ring, dann Shinagawa am südlichen Ring und schließlich Shin-Yokohama im Südwesten Kantos. Am anderen Ende existiert der achtgleisige Durchgangsbahnhof Shin-Ōsaka (shin bedeutet „neu“) mit drei Richtungsgleisen pro Richtung und in der Mitte zwei Kehrgleisen. Letztere werden von den wenigen Zügen genutzt, welche nicht vom Tōkaidō Shinkansen auf den Sanyo Shinkansen übergehen (Through Running zwischen JR Central und JR West). Alle Zwischenbahnhöfe haben Ausweichgleise mit zwei Außenbahnsteigen und mittigen Durchfahrtsgleisen, lediglich der Bahnhof Atami nahe Tokio besteht nur aus Bahnsteigen an den beiden Streckengleisen ohne Weichen und Überholgleise. Durchfahrende Züge reduzieren hier ihre Geschwindigkeit auf etwa 175 km/h. Die Bahnhöfe Shinagawa, Shin-Yokohama, Nagoya und Kyōto haben jeweils einen Mittelbahnsteig pro Richtung und sind daher insgesamt viergleisig.

Tokio Shinagawa
Shinkansen im Bahnhof Shinagawa. Bildquelle: Autor.

Es gibt drei Zuggattungen. Die an jedem Bahnhof haltende Zuggattung heißt Kodama. Sie verkehrt meist stündlich und wird an so gut wie jedem Bahnhof von einem schnelleren Zug überholt. Die meisten Züge verkehren von Tōkyō nach Shin-Ōsaka und enden dort, aber zusätzliche Züge können auch in Nagoya beginnen oder enden.

Die mittlere Zuggattung heißt Hikari. Sie verkehrt meist halbstündlich. Dabei sind zwei unterschiedliche Haltestellen-Pattern zu beobachten: Stündlich wird im ersten Fall zwischen Shin-Yokohama und Nagoya gar nicht oder maximal in Odawara (der erste Halt hinter Shin-Yokohama) gehalten und dafür zwischen Nagoya und Kyōto an jedem Bahnhof. Im anderen Fall, ebenfalls stündlich auftretend, wird mehrmals zwischen Shin-Yokohama und Nagoya gehalten, dafür nicht zwischen Nagoya und Kyōto.

Die dritte und schnellste Zuggattung heißt Nozomi und hält nur in Tōkyō, Shinagawa, Shin-Yokohama, Nagoya, Kyōto und Shin-Ōsaka. Bedingt durch die weitgehende Einstellung des Inlandsflugverkehrs zwischen Tōkyō und Ōsaka verkehrt die Zuggattung Nozomi den ganzen Tag über mindestens alle 10 Minuten, morgens und nachmittags über einen längeren Zeitraum sogar zweimal alle 10 Minuten.

Es findet ein exaktes Trassenmanagement statt. Die Abfahrten der Shinkansenzüge ab Tokio finden im Abstand von zwei bis fünf Minuten statt. Der exakte Wert hängt davon ab, wie lang ein Kodama-Zug zwischen zwei Bahnhöfen benötigt, so dass jeder schnellere Zug die Kodama-Züge in einem anderen Bahnhof überholen kann. Mit dem Bahnhof Atami ohne Überholgleise wird so umgegangen, dass der in Odawara haltende stündliche Hikari etwa sechs Minuten nach dem Kodama-Zug in Tokio losfährt. Im ersten Halt nach Shin-Yokohama, in Odawara, überholt der zwischen diesen beiden Züge verkehrende Nozomi den Kodama. Der darauffolgende Halt des Kodama in Atami fällt in die gleiche Trassenlage wie der Halt des Hikari in Odawara und wird recht kurz gehalten. So wird der Hikari in Odawara nicht überholt. Dadurch nutzt der Hikari-Zug eine Trasse, die auch ein Nozomi-Zug nutzen könnte. Im auf den Bahnhof Atami folgenden Bahnhof Mishima überholt dann der Hikari den Kodama.

Die Bahnsteigaufenthaltszeit eines Kodama bei einer Zugüberholung beträgt meist drei bis vier Minuten, selten auch zwei oder fünf Minuten. Ab und zu überholen zwei Züge auf einmal, dann sind es sieben bis acht Minuten. Dies ist meist dann der Fall, wenn wie oben geschildert stündlich ein Hikari eine Nozomitrasse nutzt und daher der nachfolgende Nozomi bis auf zwei Minuten aufholt. Grundsätzlich sind die Zwischenbahnhöfe Shinagawa, Shin-Yokohama, Nagoya und Kyōto, in denen jeder Zug hält, viergleisig ausgebaut und beide Gleise werden abwechselnd genutzt, so dass die Haltezeit nicht die Streckenleistungsfähigkeit einschränkt.

Aufrund der vielen Überholungen braucht ein Kodama etwa 4 Stunden für die Strecke Tōkyō – Shin-Ōsaka (etwa 550 Kilometer). Ein Nozomi braucht dagegen nur 2½ Stunden, während ein Hikari etwa 3 Stunden Fahrzeit benötigt.

Bildfahrplan des Tokaido-Shinkansen, nur eine Richtung ist dargestellt. Aufgrund der Darstellung als gerade Linie treffen die überholenden und die überholten leider nicht immer exakt in der senkrechten Linie (Standzeit) des überholten Zuges aufeinander. Situation Dezember 2019. Bildquelle: Autor, unter Einsatz der Freeware jTrainGraph.

Bildfahrplan des Tōkaidō Shinkansen zwischen Betriebsbeginn und 10 Uhr, nur eine Richtung ist dargestellt. Aufgrund der Darstellung als gerade Linie treffen die überholenden und die überholten Züge leider nicht immer exakt in der senkrechten Linie (Standzeit) des überholten Zuges aufeinander. Situation Dezember 2019. Bildquelle: Autor, unter Einsatz der Freeware jTrainGraph.

Fallbeispiel Ōsaka Loop Line

Die Ōsaka Loop Line ist eine konventionelle Bahnstrecke von JR West, welche kreisförmig um die Innenstadt von Ōsaka herum führt. Im Norden befindet sich der Bahnhof Ōsaka, welcher den Hauptbahnhof der Stadt darstellt. Er ist als Berührungsbahnhof angelegt: Die in Ost-West-Richtung verlaufende Tōkaidō Line berührt die Ōsaka Loop Line und entfernt sich dann wieder. Der Bahnhof Shin-Ōsaka, wo die Shinkansen halten, wird von der Ōsaka Loop Line nicht berührt.

Im Süden befindet sich der Bahnhof Tennōji, welcher ebenfalls Fernzughalt ist. Er ist teilweise als Kopfbahnhof ausgebildet. Von hier aus gehen die Radialstrecken Hanwa Line und Yamatoji Line ab. Der östliche Ringteil zwischen Tennōji und Ōsaka ist stärker frequentiert als der westliche.

Einbrechende Züge der Hanwa und Yamatoji Line halten in Tennōji und verkehren dann über den westlichen Ringteil bis Ōsaka, je nach Zuggattung entweder als Local oder als Rapid, welcher drei Stationen auslässt. Ab Ōsaka verkehren die Züge weiter über den östlichen Ringteil mit Halt an jedem Bahnhof und enden im Kopfbahnhofteil des Bahnhofs Tennōji. Da diese Züge Tennōji als Zugziel schildern, entsteht somit die Situation, dass diese Züge ihren Endbahnhof im Laufe ihrer Fahrt bereits einmal durchfahren haben. Einige Züge enden bereits am Bahnhof Kyōbashi, am nordöstlichen Ring gelegen.

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Ein Zug von JR West im Bahnhof Kyōbashi. Bildquelle: Autor.

Es gibt unter dem Namen Ōsaka Loop Line auch Züge, welche den Ring in seiner ganzen Länge befahren und nicht in Tennōji enden. Diese halten an jedem Bahnhof und verkehren außerhalb der Stoßzeiten alle 15 Minuten. Da die Strecke zwischen Tennōji und Ōsaka etwa 20 Minuten dauert, ist eine Ringumrundung in einer Dreiviertelstunde geschafft. In den Spitzenstunden verkehrt die Loop Line etwa alle 10 Minuten, mitsamt der im vorigen Absatz genannten in Tennōji endenden Züge besteht etwa ein Fünf-Minuten-Takt auf allen außer den von den Rapids ausgelassenen Bahnhöfen.

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Netzplan der Ōsaka Loop Line, zuggattungsscharf. Der Bahnhof Tennōji ist zweimal verzeichnet, einmal ganz am rechten Ende der rot dargestellten Strecke und einmal dort, wo die orange, rot und grün dargestellten Strecken zusammenlaufen. Nur die als Kreis dargestellte Zuggattung verkehrt kontinuierlich über den Ring, wobei anders als dargestellt nur einmal in Tennōji gehalten wird. Bildquelle: Autor.

Eine Besonderheit stellt die Umeda Freight Line dar. Der Bahnhof Nishikujō liegt am westlichen Teil des Rings und ist dreigleisig. Das mittige Gleis wird von Zügen der JR Sakurajima Line genutzt, welche aus Richtung Südwesten hier die Ōsaka Loop Line erreicht. Die meisten Züge wenden hier, auch wenn es einzelne Durchläuferzüge auf die Ōsaka Loop Line gibt. Richtung Norden zweigt hier im Bahnhof Nishikujō die Umeda Freight Line ab, welche das Umfahren des Bahnhofs Ōsakas, welcher ja als Berührungsbahnhof angelegt ist, ermöglicht. So können Züge von Shin-Ōsaka im Norden nach Tennōji im Süden verkehren. Früher waren das vor allem Güterzüge – daher auch der Name – aber heutzutage wird diese Strecke vor allem von Fernzügen (Limited Express) genutzt, z.B. von Kyōto im Nordwesten Ōsakas nach Wakayama im Süden oder zum Kansai International Airport. Zwischen Nishikujō und Tennōji wird die Ōsaka Loop Line mitgenutzt. Die Umeda Freight Line führt in einiger Entfernung vom Bahnhof Ōsaka entlang und ist eingleisig. Hier soll in Zukunft ein Zwischenbahnhof gebaut werden. Die Gleisanlage in Nishikujō erfordert, dass von der Umeda Freight Line einbrechende Züge in Richtung Tennōji das mittlere Gleis, welches beidseitig eine Bahnsteigkante aufweist, in seiner gesamten Länge durchfahren werden muss. Ein Führerstandsmitfahrtsvideo dazu kann hier gefunden werden.

Fazit

Ein Fazit zu ziehen in einem Artikel, der nur aufzeigen und analysieren, nicht aber eine Empfehlung aussprechen soll, ist schwer.

Die einzelnen Zuggattungsunterscheidungen entsprechen dem sogenannten Prinzip der Katalogtrassen. Dabei wird bei der Planung der Infrastruktur bereits vor deren Bau nicht nur der Verkehr abgeschätzt, sondern auch ein Betriebskonzept erstellt und die Infrastruktur entsprechend umfangreich geplant. Unter den Begriffen Zonenbetrieb, Expressverkehr und Skip-Stop sind ähnliche Betriebskonzepte auch in Deutschland bekannt, wenn auch nicht in Anwendung. Außerdem steht das Anforderungsprofil an die einzusetzenden Fahrzeuge im Voraus fest und es kommt nicht zu einer exzessiven Typenvielfalt wie beim deutschen ICE.

Weitsichtige Eisenbahninfrastrukturplanung mittels Angebotsplanung und Katalogtrassen sind Prinzipien, welche einen großen Erfolg der gebauten Bahnstrecken garantieren. In diesem Punkt hat Deutschland Nachholbedarf. Die Diskussion um den Deutschlandtakt ist richtig und wichtig.

Angesichts der stark gestiegenen Fahrgastzahlen beim Shinkansen hat sich die Entscheidung, jeden Bahnhof mit Überholgleisen auszustatten, als sehr wertvoll erwiesen. Dadurch bleibt ein dichtes Angebot fahrplanmäßig stabil umsetzbar. An Bahnhöfen, in denen jeder Fernzug hält, sind pro Streckengleis zwei Bahnsteigkanten vorhanden, um mit der Haltezeit nicht die Streckenkapazität zu verringern; dies sollte allgemein angewendet werden.

Through Running in Tokio und Fernzüge auf der Ōsaka Loop Line sind jeweils spezielle Antworten auf lokale Probleme, ihnen ist aber eines gemeinsam: Der Gedanke, vorhandene Gleiskapazitäten auszunutzen. Grundsätzlich sollte, wenn mehr Verkehr stattfinden soll und bereits Gleise liegen, diese auch genutzt werden. Technische und rechtliche Probleme wie z.B. unterschiedliche Stromsysteme oder Betriebsordnungen sollten dabei überwunden werden. Grundsätzlich ist gebaute Infrastruktur eine langfristig gebundene Investition, diese sollte so gut wie möglich ausgenutzt werden.